Ich habe Hunger – Inspiration zur Fastenzeit
Ich habe Hunger!
Aus ‚The Digestive System‘
von Dr. Swami Shankardevananda Saraswati.
Erschienen in der Bihar School of Yoga
YOGA Heft Nr. 13
Hunger ist ein Zeichen für Leere und beinhaltet den Wunsch nach Füllen, nicht nur auf körperlicher Ebene, sondern ebenso auf emotionaler, auf mentaler und auf spiritueller. Hunger taucht schon wenige Stunden nach der Geburt aus dem Mutterleib auf. Wir erfahren schmerzhaft die Trennung von unserer Quelle, unserer Mutter, Hunger nach ihrer Nahrung und ihrer warmen Gegenwart. Hunger hat seinen Ursprung in der Suche nach Erfüllung, Glück und Vollkommenheit. Die einen befriedigen dies durch Nahrung, die anderen durch ihren Beruf, durch Sport oder andere Hobbys. Was für eine Aktivität wir uns auch nach außen hin suchen, immer ist der tiefe Hunger nach Vereinigung mit dem Höheren Selbst, die Sehnsucht, zu unserer wahren Natur, zu Frieden und Glückseligkeit zurückzukehren, die Grundlage. Es ist der Hunger danach, dass jedes Hungergefühl erlischt.
Physischer Hunger
Hunger ist ein Zeichen von guter Gesundheit, und wenn er fehlt, dann ist etwas nicht in Ordnung, besonders im Magen- Darmtrakt. Hunger signalisiert dem Hirn, dass Nahrung benötigt wird. Er kann in drei Ausdrucksformen eingeteilt werden:
‚Der Appetit‘ taucht dann auf, wenn wir an bevorzugte Speisen denken. Der Physiologe Cannon hat dies zusammengefasst als ‚das, was aus früheren angenehmen Erfahrungen heraufsteigt; ein Sehnen und Verlangen nach etwas, was wir sehr gern mögen, und allein der Gedanke oder Geruch daran lässt den Speichel und die Verdauungssäfte fließen, während das Gegenteil passiert, wenn wir etwas nicht mögen.‘ Wenn der Geruchssinn gestört ist, haben wir auch keinen Appetit. Erbanlagen spielen auch noch eine Rolle; z.B. fressen Löwen keine Bananen und Affen fressen kein Fleisch. Der Appetit bestimmt also, was wir essen, und dieser ist mit dem Swadhisthana Chakra verbunden, dem Energiezentrum der Sinneslust.
‚Quälender Hunger‘ bestimmt, wann und wie viel wir essen. Dieses Hungergefühl wird oft als ein unangenehmer und nagender Schmerz in der Mitte des Oberbauchs beschrieben. Manche Menschen glauben, dass dies durch Kontraktionen des leeren Magens entsteht, kann aber noch nicht bewiesen werden. Wie dieser Hunger durch Nahrungsaufnahme befriedigt wird, hängt in erster Linie von sozialen Gebräuchen und dem Appetit ab. Dieser Hungeraspekt ist mit dem Manipura Chakra und dem Verdauungsfeuer verbunden.
‚Der Hungertrieb‘ ist ein noch tieferes Phänomen, als der quälende Hunger; wahrscheinlich ist er ein Instinkt. Fachleute behaupten, dass er das Resultat von einem Zellenbewusstsein ist, dass danach sucht, wieder aufgefüllt zu werden, nachdem den Zellen Nahrung entzogen wurde. Es scheint im Zusammenhang zu stehen mit Energieverlust, so dass der Körper Nahrung zum Überleben verlangt; dies geschieht wahrscheinlich auf unterbewusster oder unbewusster Ebene. Dieser Trieb besteht auch dann noch, wenn die Nervenverbindungen zwischen Magen und Gehirn durchtrennt sind und die Kontraktionen des Magens, die mit quälendem Hunger verbunden sind, aufhören. Er ist sogar dann noch vorhanden, wenn der Magen herausoperiert wurde. Dieser tiefe Hungertrieb scheint mit dem Muladhara Chakra verbunden zu sein, dem Energiezentrum für unseren Selbsterhaltungstrieb.
Diese drei Faktoren arbeiten gegeneinander, sie erzeugen ein tiefes Verlangen zu essen, Nahrung aufzunehmen, zu überleben. Diese Signale gehen zum Hirn und stimulieren das Zusammenziehen des Magens, sie verursachen ein Gefühl der nagenden Leere, der ‚Hunger‘ genannt wird. Dieses Gefühl ist am stärksten, wenn der Magen leer ist und verschwindet mit der Aufnahme von Nahrung. Man kann es vorübergehend stoppen, indem man einfach kaut oder schluckt, durch Rauchen oder Trinken von Alkohol, oder indem man den Gürtel enger schnallt. Auch starke Gefühle lassen es rasch verschwinden. Der Appetit bestimmt, was wir essen, um den Hunger zu vermindern, aber dies wird oft von anderen Faktoren beeinflusst. Die Unterdrückung der Sexualität führt z.B. bei vielen Menschen dazu, zu viel Süßes zu essen.
Es gibt einen Mechanismus in uns, der genau anzeigt, wie viel wir brauchen und wann wir genug haben. Der Körper scheint das, was wir aufnehmen genauestens zu überwachen. Beobachtung von Tieren hat das bestätigt. Und da gibt es zwei Stufen – die eine ist von vorübergehender Natur, vielleicht herbeigeführt durch psychische Befriedigung; die zweite ist eine permanente Sättigung, die von dem Sättigungszentrum im Hypothalamus angezeigt wird.
Wahrnehmung ist ein ganz wichtiger Faktor, um physischen von mentalem Hunger zu trennen. Wenn wir unsere Wahrnehmung entwickeln, werden wir sehr sensibel für innere Körpersignale und Bedürfnisse. Dann können wir Völlerei dadurch vermeiden, dass wir in dem Moment aufhören, wenn wir gesättigt sind, dann essen wir für den Körper und nicht für den Geist. Das mag für viele Geduld und große Wachsamkeit erfordern, denn Essgewohnheiten sind nicht so leicht zu verändern. Aber auf diese Weise kann man wunderbar Übergewicht, Dyspepsie und andere Verdauungsprobleme loswerden, die meistens durch Völlerei entstehen. Wahrnehmung ist der Schlüssel, um Hunger unter Kontrolle zu bekommen.
Mentaler Hunger
Wenn du dir etwas wünschst und darüber einige Zeit nachdenkst, dann wird es zu einem mentalen Hunger, einem Verlangen. So ein Hunger ist sehr viel mehr als der Bedarf nach Nahrung, es ist der Wunsch, ein Vakuum zu füllen, das wir uns in unserem Leben geschaffen haben. Verlangen ist ein unbewusster Mechanismus, eine tiefe Unsicherheit zu kompensieren, Sinnesgelüste zu befriedigen, oder unerwiderte Liebe oder Machtgefühle zu kompensieren.
Wenn wir Verlangen nach etwas haben, dann begegnen wir der Welt sehr egozentriert. Wir betrachten die Welt ausschließlich von unserem ganz subjektiven Blickwinkel aus. Dieser Blickwinkel ist eindeutig ganz und gar unrealistisch, und wenn wir ihn logisch betrachten, müssen wir erkennen, dass er, wenn unsere Wünsche nicht erfüllt werden, nur mit Leid enden kann. Das führt zu Verspannung, und der ganze Körper gerät außer Gleichgewicht, er ist anfällig für Krankheit, Schwäche und Verdauungsstörungen.
Der Schritt, um dieses Leiden zu vermeiden, ist der Versuch, selbstloser und objektiver zu leben. Yoga und meditative Wahrnehmung hilft uns dabei. Anstatt immer nur darauf bedacht zu sein zu nehmen, lernen wir zu geben und erkennen dann, dass wir nur so gewinnen können. Unser Hunger wird dann gestillt und wir können uns auf unserer Suche nach Erfüllung mehr nach innen begeben, als ausschließlich in der Außenwelt danach zu suchen.
Der yogische Weg
In der yogischen Terminologie wird Hunger, der mit Wünschen gefärbt ist, als ‚Klesha‘ bezeichnet. Die fünf Kleshas sind die Wurzel aller Leiden und Schmerzen. In den Yoga Sutras von Patanjali heißt es:
„Ignoranz, Ich-Gefühl (Ego), Neigung (Wunsch), Abneigung (Aversion), und die Angst vorm Tod sind die Schmerzen.“ (II:3)
Die Objekte der Freude, des Vergnügens bringen den Geist dazu, den Dingen nachzujagen. Wenn wir uns an Vergnügungen überfüttern, dann leiden wir an Krankheiten. Das ist ein universelles Gesetz, das uns an die unteren Bewusstseinsstufen fesselt. Wenn wir uns z.B. überessen, leiden wir an Verdauungsstörung. Vergnügung und Schmerz haben ihren Ursprung in Ignoranz (Avidya), und sie sind die motivierenden Kräfte im Menschen, die in den Wurzeln unseres Wesens existieren.
Die meisten Menschen essen, so bald sie den geringsten Hunger verspüren, um Schmerzen zu vermeiden. Ein Yogi dagegen entwickelt seine Willenskraft daran, den Hunger zu fühlen, ohne ihn sofort zu stillen. Er wartet ab und gibt dem Verdauungsfeuer die Chance, zu wachsen, und wenn er dann richtig hungrig ist, dann isst er. Der Yogi nimmt auch schmerzhaften Hunger wahr, aber er nimmt dies wie bei anderen Empfindungen als vorübergehende Natur wahr und lässt sich nicht davon beeinflussen. Er betrachtet Hunger als eine gesunde Form des Leidens, bedeutend besser, als das Leiden, das aus Völlerei entsteht. Mit einer solchen inneren Einstellung kann er den Hunger als etwas Schönes erleben.
Ein Yogi isst weder aus Langeweile noch aus Gewohnheit. Er isst um zu leben und lebt nicht um zu essen. Wenn man eine bestimmte Stufe in Yoga erreicht hat, dann hört der Hunger vollkommen auf, dann ist der Körper nicht einmal mehr auf Nahrung angewiesen. Dies geschieht dann, wenn das individuelle Bewusstsein sich mit dem Höchsten vereinigt hat. Es ist die Erfüllung von jeglichem Hunger auf der spirituellen Ebene.
Die Pfeil und Bogen Technik
Um diesen Zustand zu erreichen, muss ein Yogi allerdings zuerst einmal seinen physischen Hunger wahrnehmen und erkennen können, wie sein Körper und sein Geist davon beeinflusst werden. Dann erst kann er seinen Hunger für weltliche Dinge verwandeln in einen Hunger nach dem tiefen Wunsch eines spirituellen Lebens und inneren Wissens. Eine gute Übung dafür ist die Pfeil und Bogen Technik, die unsere Wünsche bis zur äußersten Grenze treibt; wir werden gezwungen, diese Grenzen zu durchbrechen und in unerforschte Bereiche vorzudringen. Indem wir die weltlichen Dinge benutzen, können wir verhindern, dass sie uns beeinflussen, so wie wir einen Dorn mit einem Dorn entfernen können. Die Methode ist der Wechsel von Verhaftetsein und Loslassen.
Phase 1:
Den Bogen anspannen. Zuerst versuchen wir, uns von Dingen, die wir gern mögen zu lösen. Über einen Zeitraum von 1-3 Monaten halten wir eine monotone Diät ein, ohne Gewürze, ohne Salz. In dieser Zeit werden alle möglichen Wünsche und Verlangen und Gedanken aufsteigen, viele Vorwände werden wir erfinden, um die Disziplin zu durchbrechen. Wenn wir es schaffen, diese Zeit durchzuhalten, werden wir viele neue Gefühle und Bewusstseinsstufen kennen lernen. In dieser Zeit sollten wir durch Antar Mouna alle Unreinheiten des Geistes an die Oberfläche kommen lassen; ohne uns hineinziehen zu lassen, können wir sie dann entfernen.
Phase 2:
Den Pfeil lösen. Wenn wir diese Zeit durch gestanden haben, gibt es ein Fest mit all unseren Herzenswünschen, nach denen wir uns so gesehnt haben. Die Völlerei ist harmlos, auch wenn sie ein oder zwei Tage ein paar Verdauungsstörungen mit sich bringt. Während dieser Völlerei können wir alle Dinge von Herzen genießen, aber gleichzeitig werden wir erkennen, dass die Zeit und Energie, die wir mit unseren Gedanken daran verschwendet haben, es gar nicht wert war. Jetzt können wir auch die Sinnlosigkeit und Unmöglichkeit erfahren, die Sinne durch Sinnesobjekte zu befriedigen. Eine einzige solche Erfahrung reicht meistens aus, um eine Kettenreaktion in Gang zu bringen, und nach höheren, spirituellen Werten zu suchen. Den Bogen spannen und den Pfeil lösen führt automatisch zu der nächsten Stufe.
Phase 3:
Das Ziel in Angriff nehmen. Mag sein, dass wir den Zielpunkt und den wunschfreien Zustand nicht beim ersten Mal erreichen, aber wir haben uns ganz sicher in die richtige Richtung begeben; wir haben uns einem höheren Ziel zugewendet. In dieser Phase ist ein Guru sehr wichtig, um uns aus den Fallstricken herauszulotsen und unseren Pfeil auf das richtige Ziel zu richten. Er umhüllt uns mit dem Licht, um unseren Schuss sicher zu lösen, und er gibt uns Techniken, um unsere Reise etwas leichter zu machen. So können wir allmählich unsere groben, weltlichen Wünsche eliminieren und unseren Geist läutern.
Wenn du diese Technik allein ausprobieren möchtest, dann beginne damit, alle Snacks und Süßigkeiten und verfeinerten Nahrungsmittel zu streichen. Nimm täglich zwei einfache Mahlzeiten zu dir, die aus nicht mehr als 3-4 Grundzutaten bestehen sollten, und die nicht von einer zur anderen Mahlzeit wechseln sollten. Wenn dir das zu schwer fällt, dann streiche eine Woche oder einen Monat alle Nahrung und Getränke mit Zucker, oder streiche das Salz. Wenn du auch diese Disziplin nicht einhalten kannst, dann gehe für einige Zeit in einen Ashram.
Hunger Sadhana
Folgende yogische Techniken werden dir dabei helfen, gewohnheitsmäßige Wünsche und Süchte allmählich zu verringern.
Um Hunger zu verringern:
Bhujangini Mudra. Hier zieht man Luft in den Magen, bis er ganz gefüllt ist, dann wird sie durch Rülpsen entfernt. Mache das immer, wenn du Hunger hast und versuche, deine Nahrungsaufnahme zu verringern.
Andere hilfreiche Übungen:
Asanas: Vajrasana (vor den Mahlzeiten), Shavasana (mit Atemwahrnehmung), Shashankasana.
Pranayama: Nadi Shodhana, Bhramari, Sheetkari.
Meditation: Antar Mouna
Um Hunger anzuregen:
Hatha Yoga: Laghoo Shankhaprakshalana, Kunjal, Neti, Agnisara und Nauli.
Asanas: Pawanmuktasana Teil II, Surya Namaskara, Paschimottanasana, Bhujangasana, Shalabhasana, Dhanurasana, Ardha Matsyendrasana, Sarvangasana.
Pranayama: Bhastrika, Ujjayi.
Karma Yoga ist einer der besten Wege, um das Verdauungsfeuer anzuregen, besonders wenn es durch harte körperliche Arbeit geschieht. Bhakti Yoga erhöht den Hunger nach spirituellen Werten. Gyana Yoga vermindert physischen Hunger, indem sich die Leidenschaften verringern und ein spiritueller Hunger wächst.
Man sagt: Einen Apfel am Tag und du brauchst keinen Arzt.
Nur zwei Mahlzeiten am Tag, das ist der yogische Weg.